DAS WASSER-GEHEIMNIS ALS GRUNDLAGE DER NEUEN ERDE

Heilung des Wasserkreislaufs durch den Aufbau von „Retentionslandschaften“
Freie Rede von Bernd Walter Müller, 2011 (2. überarbeitete Auflage 2013)

„Wasser, Energie und Nahrung stehen der ganzen Menschheit zur freien Verfügung, wenn wir nicht länger den Gesetzen des Kapitals, sondern der Logik der Natur folgen.”
Dieter Duhm: Tamera-Manifest für eine neue Generation

Ich stelle dieses Zitat an den Anfang meiner Rede, weil ich euch bitten will, diese Vision der heilen Erde zu sehen, so oft und intensiv ihr könnt. Wir dürfen uns nicht an einen Zustand gewöhnen, wo uns etwas, das eigentlich selbstverständlich ist, wie eine unrealistische Utopie erscheint. Eine Erde, auf der alle Menschen freien Zugang haben zu genügend Wasser, Energie und Nahrung, und das auch noch kostenlos, ist eine durch und durch machbare Vorstellung. Schon vor über 80 Jahren wurden ähnliche Gedanken von dem Österreicher Viktor Schauberger beschrieben, einem genialen Wasserforscher, einem Vorreiter und Vordenker der höchsten Kategorie. Er hat bereits damals die globalen Probleme vorhergesehen, vor denen wir heute stehen, und aufgezeigt, wie sie zu lösen sind. Eine Schlüsselstelle für die Lösung ist die richtige Behandlung des Wassers. Deswegen möchte ich mich in diesem Vortrag mit dem Wasser befassen.

Wasser ist Leben. Und wo Leben ist, ist auch Nahrung und Energie.

Die Jahre 2010 bis 2020 wurden von der UNO zum „Internationalen Jahrzehnt der Wüsten und der Wüstenbildung“ erklärt. Die Desertifikation, also die fortschreitende Wüstenbildung, ist heute eines der größten globalen Probleme. Über 40% der globalen Landmasse zählen heute zu den Trockengebieten. Auch in Europa, zum Beispiel hier auf der Iberischen Halbinsel, ist die Wüstenbildung dramatisch. Ein Drittel der Landfläche Spaniens hat sich bereits in ein Trockengebiet verwandelt. Doch die meisten dieser Trockengebiete liegen in den noch ärmeren Ländern unserer Erde. Milliarden von Menschen haben heute keinen Zugang mehr zu gutem und frischem Wasser. Auch wenn wir es noch so sehr verdrängen wollen, wissen wir, dass dies unter anderem mit unserer Lebensweise hier in den Industrieländern zusammenhängt, die täglich, stündlich, minütlich dazu führt, dass in anderen Regionen der Erde Kinder an schlechtem Wasser erkranken und sterben, Menschen sich um die letzten Wasserstellen streiten müssen und Tiere verdursten. Wasser, eigentlich eine Quelle des Lebens, ist heute Ursache für Krieg, Macht, Krankheit und unendlich viel Leid.

Deswegen forderte auch der bolivianische Präsident Evo Morales 2008 in seinen „10 Geboten, um den Planeten, die Menschheit und das Leben zu retten“, dass wir uns mit dieser „Weltkrise des Wassers“ auseinandersetzen und den Zugang zu Wasser zum Menschenrecht erklären müssen. Ich schließe mich ihm an. Ich halte diese Rede, damit alle Menschen und alle Tiere wieder freien Zugang haben zu gutem Trinkwasser. Dafür wurde die Idee der Retentionslandschaften und der Schule Terra Nova entwickelt.

Wüstenbildung durch falsche Wasserwirtschaft

Wir Menschen haben das Wissen, wie Wüsten und Halbwüsten wieder zurückverwandelt werden können in lebendige Landschaften, die wieder von quellfrischen Wasserläufen durchzogen werden. Wüstenbildung ist in den meisten Fällen kein Naturphänomen, sondern die Folge von falscher Wasserwirtschaft in globalem Maßstab. Wüsten entstehen nicht, weil es zu wenig regnet, sondern weil der Mensch das Wasser falsch behandelt.

Ein Beispiel: Unsere Landschaft, der Alentejo, gilt als Trockengebiet. Aber letzte Woche hat es hier einen sehr starken Regen gegeben. Die Menge an Wasser, die in wenigen Tagen fiel, hätte ausgereicht, um die Bevölkerung des gesamten Gebietes das ganze Jahr über mit Trink- und Brauchwasser zu versorgen. Stattdessen aber floß es ungenutzt ab und hat zudem noch Zerstörung erzeugt: es hat fruchtbare Erde mit sich gerissen, Fundamente von Brücken unterspült, Straßen überschwemmt und Städte und Dörfer überflutet. Die Menschen sind nun damit beschäftigt, die angerichteten Schäden zu reparieren. Das ist aufwendig und teuer, und beim nächsten Regen geschieht dasselbe wieder. So haben sie keine Zeit, darüber nachzudenken, was sie tun können, um in neue Systeme zu investieren, in denen sie ganzjährig sauberes Wasser haben und gleichzeitig Überschwemmungen vermeiden können.

In Portugal haben wir im Winter viel Regen, im Sommer ist es trocken. Noch vor wenigen Jahrzehnten war Südportugal auch im Sommer eine Region, in der die Bäche ganzjährig Wasser führten. Heute schwellen die Bäche nur während der Regenzeit an und fallen danach wieder trocken. Das System ist vollkommen aus der Balance geraten. Diese Situation finden wir weltweit, in entsprechender Form in allen Klimazonen. Fast überall erleben wir heute große Überschwemmungen und Erdrutsche mit katastrophalen Folgen für Mensch, Tier und Natur. Die Menschen sprechen dann von Naturkatastrophen, in Wirklichkeit sind es aber von Menschen gemachte Katastrophen.

Der halbe Wasserkreislauf

Wie können wir diese Situation lokal und global verändern? Was heißt Systemwechsel am Beispiel der Wasserwirtschaft, und wie kann er eingeleitet werden? Um Antworten darauf zu finden, müssen wir noch einmal den Ist-Zustand anschauen, wie wir ihn heute überall vorfinden. Er entspricht dem von Viktor Schauberger beschriebenen „halben“ Wasserkreislauf: Wasser verdunstet, bildet Wolken und regnet ab. Der Regen trifft dann aber auf eine Erde, die das Wasser nicht mehr aufnehmen kann. Früher wurde die Erde von einer dichten und abwechslungsreichen Vegetationsdecke geschützt. So konnte sich wertvoller Humus bilden, der das Wasser wie ein Schwamm aufgesaugt hat.

Heute jedoch wurde diese artenreiche Vegetation weitgehend zerstört; Wälder wurden abgeholzt, Grasland durch Über- oder Unterweidung falsch genutzt, große Flächen durch Überbauung oder einseitige Nutzung „versiegelt“. Der ungeschützte Boden heizt sich auf. Wenn der Boden aber eine höhere Temperatur hat als das Regenwasser, kann er es nicht aufnehmen, er verschließt sich, wird hart, und das Wasser perlt ab. Es sammelt sich in großen Strömen, die schnell abfließen. Wo noch Humusschichten sind oder fruchtbare, lockere Erde ist, reißt es diese mit sich. So kommt es zum fatalen Problem der Erosion. Das schnell strömende Wasser füllt Bachläufe und Flüsse in kürzester Zeit. Bei starkem Regen schwellen sie an und nehmen viel Bodenmaterial mit sich. Das können sie aber nicht an der nächsten Flußbiegung ablagern, weil das Wasser nicht mehr mäandrieren darf, denn die Flüsse wurden begradigt und die Ufer zusätzlich befestigt. Die wertvolle Erde, die so dringend auf dem Land gebraucht würde, führt nun flußabwärts zum Verlanden der Flüsse. Sie werden flach und treten über die Ufer. Das führt zu großen Schäden, vor allem in den Städten, die an den Flußmündungen liegen. Im halben Wasserkreislauf haben wir Flüsse, die kein klares Quellwasser mehr mit sich führen, sondern trübes, verschmutztes Regenwasser. Nirgendwo hat das Wasser Zeit, sich zu sammeln, zu ruhen, zu reifen und sich mit Mineralien und Informationen anzureichern. Kaum ein junger Mensch dieser Erde kennt noch Bäche, die klares Quellwasser mit sich führen.

Der sinkende Grundwasserspiegel

Wenn das Wasser nicht in den Erdkörper eindringen kann, fehlt es dort. Durch die so entstandene Trockenheit leidet das Bodenleben, die Mikroorganismen ziehen sich zurück, die Fruchtbarkeit des Landes nimmt spürbar ab, immer weniger Pflanzen- und Tierarten können überleben. Trockenheit und Verlust an Artenvielfalt sind die wichtigsten Anzeiger der Wüstenbildung.

Der Grundwasserspiegel sinkt – und zwar weltweit und dramatisch. Der weltweite Vorrat an Trinkwasser schwindet. Hier stehen wir vor einer Tatsache, die uns direkt in apokalyptische Szenarien führt, wenn es uns nicht gelingt, diesen Prozess aufzuhalten. Durch den sinkenden Grundwasserspiegel kann die Balance zwischen dem Süßwasser des Grundwassers und dem Salzwasser aus den Meeren nicht mehr aufrecht erhalten werden; das Salzwasser dringt ungehindert ins Landesinnere ein, Böden und tiefer liegende Süßwasservorräte werden versalzen. Das Ökosystem „kippt“, eine beinahe irreversible Situation. In vielen Küstengebieten weltweit ist dieser Vorgang schon im Gang. Auch hier auf der Iberischen Halbinsel beginnt das Grundwasser in Küstennähe zu versalzen.

Welchen Zeiten aber geht die Menschheit entgegen, wenn es kein natürliches Trinkwasser mehr gibt? Hier dürfen wir uns nicht abwenden und etwas geschehen lassen, was zu verhindern wäre. Das Wissen dazu ist vorhanden, jetzt geht darum, es auch umzusetzen.

Wir wissen: So ist die Erde nicht gemeint. So ist das Zusammenleben von Mensch, Tier und Erde nicht gemeint. So ist das Leben nicht gemeint.

Der Grosse Wasserkreislauf

Schauen wir wieder auf das heile Bild – es ist das Bild des großen Wasserkreislaufs: Der Regen, der auf die Erde fällt, wird dort von einer Schicht Humus aufgesaugt. Es ist noch nicht lange her, da gab es hier auf dem Gelände von Tamera eine durchlebte humose Bodenschicht von stellenweise einem halben Meter Dicke. So war es mehr oder weniger überall in Portugal und im Prinzip in ganz Europa. Die durchwurzelte und von Pflanzen beschattete Humusschicht saugte sich mit Regenwasser voll und gab ihm so Zeit, in tiefere Erdschichten zu sickern und den Erdkörper mit Wasser aufzufüllen. So entstand ein gesättigter Erdkörper als Speicherorgan. Dort unter der Erde ruht das Wasser in verschiedenen Tiefen, manchmal über lange Zeit. Wir wissen noch wenig darüber, was dort im Dunkeln wirklich mit dem Wasser geschieht. Ich empfinde dies als den weiblichen oder auch seelischen Teil des Wasserkreislaufes. Was wir sagen können ist, dass das Wasser dort reift, indem es sich mineralisiert und Informationen aufnimmt. Diese Fähigkeit, Informationen auf-zunehmen und zu speichern, gehört zu den wesentlichen und geheimnisvollsten Kräften des Wassers.

In der gesättigten Erde kühlt das Wasser auf seinem Weg in tiefere Erdschichten ab. Wo der große Wasserkreislauf intakt ist, tritt das Wasser als gereiftes Quellwasser mit einer Temperatur von +4°C wieder an die Oberfläche. Solches Quellwasser hat eine immense Heilkraft für die Erde und alle ihre Geschöpfe. Bäche und Flüsse, die Quellwasser führen und ihrem Wesen gemäß schwingen dürfen, haben Heilkraft für das Land. Das Wasser vitalisiert sich zunehmend im Laufe seines Fließvorgangs. An den Ufern solcher Bäche und Flüsse ent-stehen vielfältige Biotope, in denen sich das Leben entfaltet.

Das Wasser im großen Wasserkreislauf fließt konstant und gleichmäßig. Die Erde wirkt als Puffer. Sie kann auch große Wassermengen auf einmal aufnehmen, gibt sie aber nur langsam wieder ab. So werden Überschwemmungen verhindert. Und gleichzeitig führen die Bäche das ganze Jahr über klares, sauberes Wasser. Die Balance ist hergestellt zwischen den regenreichen Monaten und der trockenen Jahreszeit. Das gilt im Prinzip für alle Klimazonen. Ein großer Wasserkreislauf, in dem der Erdkörper wieder seine volle Funktion einnimmt, schafft überall Ausgewogenheit und Stabilität.

Naturheilung durch Retentionslandschaften

Heute ist dieser Erdkörper, der humose Mutterboden, zu einem großen Prozentsatz von der Erdoberfläche verschwunden. Der Erosionsprozess ist vor allem in den letzten Jahrzehnten so schnell und großflächig vorangeschritten, dass man von einer globalen Katastrophe sprechen kann. Deswegen können wir uns nicht damit aufhalten, Ökosysteme zu entwickeln, die erst in 30, 40 oder gar mehr Jahren wieder eine dünne Humuslage schaffen. Wir brauchen diesen ausbalancierenden Schwammeffekt früher. Damit der Wasserkreislauf wieder vollständig wird, mussten wir etwas finden, wie das Wasser trotz des fehlenden Mutterbodens von der Erde aufgenommen werden kann. So entstand die Idee der Retentionslandschaften.

Retentionslandschaften sind Systeme zur Wiederherstellung des großen Wasserkreislaufes, indem sie das Wasser dort zurückhalten (lat. retendere), wo es abregnet. Es gibt eine Fülle an Methoden, um das Regenwasser auf dem Land zu halten, die in verschiedenen Kombinationen miteinander angewendet werden können, zum Beispiel das Anlegen von Retentionsräumen, von „checkdams“, „swales“, Terrassen, Tiefpflügen entlang der „keylines“ oder durch besondere Nutzungsformen wie Aufforstung, biologische Landwirtschaft oder durch ein spezielles Weidemanagement (Holistic Planned Grazing)*.

Ziel der Arbeit ist es, dass kein Regen- oder Abwasser das Gelände mehr verläßt. Dann haben wir eine Landschaft in eine „Retentionslandschaft“ verwandelt. Alles abfließende Wasser soll wieder Quellwasser sein. In Tamera haben wir eine Reihe von miteinander verbundenen Retentionsräumen geschaffen (in der Größe von Teichen bis kleinen Seen), in denen sich das Regenwasser hinter einem Damm aus Naturmaterialien sammeln kann. Die Retentionsräume selbst werden nicht mit Beton oder Folie abgedichtet, so dass das Wasser langsam und stetig in den Erdkörper hinein diffundieren kann.

Mit dem Begriff „Retentionslandschaft“ ist immer das Konzept der Naturheilung verbunden.

Der Aufbau von Retentionslandschaften ist eine aktive und wirkungsvolle Antwort auf die Zerstörung der Natur, die in Tamera in intensiver Zusammenarbeit mit dem Permakulturspezialisten Sepp Holzer aus Österreich und verschiedenen Visionären und Ökologen aus aller Welt entwicket wurde. Es gibt keine von Menschen bewohnte Regionen, die für den Bau von Retentionslandschaften ungeeignet wären. Überall, wo heute Ökosysteme und Landschaften gestört oder zerstört wurden, können und sollen Retentionslandschaften angelegt werden, auf jedem Boden, in jeder Klimazone, in jeder Hanglage und vor allem in Gebieten mit geringem Niederschlag. Hier sind sie ganz besonders wichtig. Je weniger Niederschlag in einem Gebiet fällt und je länger die Abstände zwischen den Regenfällen sind, um so dringender ist der Aufbau einer Retentionslandschaft. Aber auch in tropischen, regenreichen Gebieten sind Retentionslandschaften ein großer Schritt zur Heilung. Die Retentionsräume ersetzen die empfindliche Humusschicht, die nach dem Abholzen der Regenwälder manchmal schon in einer einzigen Regensaison gänzlich weggewaschen wird. Und sie tragen durch ihr hohes Aufnahmevermögen an Wasser auch dazu bei, die fatalen Erdrutsche zu verhindern, die heute immer häufiger durch starke Regenfälle ausgelöst werden. So retten sie ganz direkt auch Menschenleben.

Vielleicht gibt es noch einige wenige Waldgebiete auf der Erde, wo es noch nicht nötig ist, korrigierend einzugreifen, weil noch genug Humus vorhanden ist. Aber das sind heute leider nur noch Randerscheinungen. Eine Retentionslandschaft ist der Heilungsimpuls, den die Erde und alle ihre Geschöpfe heute brauchen. Und sie müssen und können überall da entstehen, wo Menschen den Mut und die Kraft und natürlich das Wissen wiedererlangen, sie aufzubauen.

Dafür brauchen wir jetzt eine entschlossene gemeinsame Kraft und Ausrichtung. Um weltweit Retentionslandschaften aufzubauen, werden spezielle Ausbildungsstätten benötigt.

Wir haben die Schule Terra Nova ins Leben gerufen, um die Informationen zunächst über das Internet zu verbreiten und Gruppen und Initiativen darin zu unterstützen, dieses Wissen in ihren Ländern anzuwenden. In unserer Vision könnten sich dann überall und selbst organisiert sog. Modell- Universitäten entwickeln, wo in Theorie und Praxis gelehrt wird, wie Retentionslandschaften gebaut werden.

Damit wird ein Prozess des Umdenkens eingeleitet, der natürlich auch alle anderen Bereiche des menschlichen Lebens erfasst. Eine Retentionslandschaft kann auf Dauer nur funktionieren, wenn sich das individuelle und gesellschaftliche Leben wieder einbettet in die Natur und in die höheren Ordnungen der Schöpfung.

Wie eine solche Einbettung auf moderner Stufe funktioniert, welches technologische und soziale Wissen dafür gebraucht wird, das alles soll in den Modellen erforscht und gelehrt werden und allen Menschen zur Verfügung stehen, die dieses Wissen suchen.

Der Prozess des Umdenkens wird letztlich erst dann zu Ende sein, wenn es kein einziges Lebewesen auf der Erde mehr gibt, das nicht ausreichend mit Wasser, Nahrung und menschlicher Anteilnahme versorgt wird.

Das Wesen des Wassers kennenlernen

Der erste Schritt des Umdenkens beginnt mit dem Wasser selbst. Ein Retentionsraum ist nicht nur technisch zu verstehen, sondern ist dafür da, um den neuen Ingenieuren auch das Wesen des Wassers näher zu bringen. Ein Retentionsraum muss so gestaltet sein, dass sich in ihm das Wasser nicht anstaut, sondern ganz im Gegenteil seinem Wesen gemäß bewegen kann.

Wasser ist nicht einfach nur ein physikalischer oder chemischer Stoff, den der Mensch ganz nach seinem Belieben oder gar nach industriellen Normen behandeln kann. Wasser ist ein Lebewesen. Wir modernen Menschen müssen es lernen, das wieder ganz zu verstehen. Die Ausformung der Retentionsräume ist deswegen nicht willkürlich.

Wir beobachteten das Wasser: Wie möchte es sich bewegen? Welche Uferformen mag es? Welche Temperatur und welche Temperaturunterschiede mag es? Mag es Wellenbildung oder nicht?

Diese ganzen Aspekte fließen in unsere Arbeit ein.

Wie jedes Lebewesen braucht auch das Wasser die Freiheit, sich seinem Wesen gemäß bewegen zu dürfen. Wasser will sich einrollen, verwirbeln, schwingen, mäandrieren. Dann bleibt es vital und frisch. Durch die Bewegung reinigt es sich von selbst. Gleichzeitig kann es auch zur Ruhe kommen und hat Zeit, in den Erdkörper einzusickern.

Es gibt drei wichtige Prinzipien für die Gestaltung eines solchen Retentionsraumes:

  • Die längere Seite der Retentionsräume wird möglichst zur Hauptwindrichtung angelegt. Der Wind streicht dann über eine lange Oberfläche. Dadurch bilden sich Wellen, die Sauerstoff eintragen: Sauerstoff ist ein wichtiges Element für die Wasserreinigung. Wind und Wellen tragen darüber hinaus Schmutzpartikel ans Ufer, wo sie von Wasserpflanzen festgehalten und schließlich aufgenommen werden.
  • Ufer werden nie begradigt und künstlich befestigt, sondern mäanderförmig geschwungen angelegt, mit steilen und flachen Stellen, so dass sich das Wasser drehen und verwirbeln kann. Mindestens ein Teil der Uferzonen wird mit Wasser- und Uferpflanzen bepflanzt.
  • Es werden Tief- und Flachzonen angelegt. So entstehen verschiedene Temperaturzonen, die für eine gesunde Thermodynamik im Wasserraum sorgen. Beschattete Uferflächen unterstützen diesen Prozeß. Eine Vielfalt von Wasserlebewesen findet so die passenden Lebensräume.

Der Damm eines Retentionsraumes besteht komplett aus Naturmaterialien, es wird keine Folie oder Beton verwendet. Die Sperrschicht besteht aus möglichst feinem Material – optimal ist Lehm –, für das am besten der Aushub der Tiefenzone verwendet wird. Sie wird mit einer dichten Schicht des Unterbodens verbunden, die manchmal einige Meter tief liegt. Die Sperrschicht wird aus erdfeuchtem Feinmaterial verdichtet und aufgebaut. Sie wird dann von außen mit gemischtem Erdmaterial aufgeschüttet, mit Humus oder Muttererde bedeckt und kann dann bepflanzt und gestaltet werden.

Durch die natürliche Bauweise passen sich die Retentionsräume in die Landschaft ein und bleiben keine Fremdkörper. Schon nach kurzer Zeit stellt sich an den Ufern wieder Leben ein. Die Pflanzen, vor allem auch die Bäume, werden endlich wieder von unten mit Wasser versorgt, so wie es ihrer Natur entspricht. Und wir können mehr und mehr und schließlich ganz auf künstliche Bewässerung von oben verzichten.

Die Helferkräfte

Beim Bau von Retentionslandschaften steht uns eine Fülle von Helferkräften aus dem Naturreich zur Seite. Die neuen Ingenieure wissen das, werden mit diesen Kräften Kontakt aufnehmen und sie um ihre Mithilfe bitten. Da sind einmal die Millionen und Milliarden von Kleinst-lebewesen, die sofort mit ihrer Arbeit anfangen, wenn sie merken, dass es auch über eine Regensaison hinaus Wasser gibt. Sie sind unsere besten Mitarbeiter.

Die meisten von ihnen leben unsichtbar in der Erde. Diese Wesen spüren, dass hier ein nachhaltiger Heilungsprozess eingeleitet werden soll, der allen zugute kommt. Vielleicht sehen wir eine lange Zeit nichts von ihrem Wirken, aber wir dürfen wissen, dass sie da sind und schon sehr schnell mit ihrer Arbeit anfangen. Eike Braunroth, ein Experte in Sachen Kooperation mit der Natur, beschreibt in seinem Buch:

„Harmonie mit den Naturwesen in Garten, Feld und Flur“ eindrücklich, was geschieht, wenn die Tiere, die bisher als Schädlinge und Ungeziefer angesehen und entsprechend bekämpft wurden, als Kooperationspartner entdeckt werden. Er beschreibt am Beispiel von Nacktschnecken, Blattläusen, Wühlmäusen, Kartoffelkäfer und Zecken:

„Ihr massenhaftes Auftreten, ihre ungezügelte Vermehrung, ihre ungebrochenen Freßorgien in meinem Garten, ihre Resistenz gegenüber meinen Schlichen haben mir den Sinn für ein anderes Lebensbewußtsein geöffnet … Heute leben sie alle bei mir im Garten ihr ungestörtes Da-Sein. Sie haben mir gezeigt, wozu die Natur fähig ist: zu vorbehaltloser Freundschaft!“

In unsere ökologische Arbeit in Tamera wird dieser Aspekt der Kooperation intensiv miteinbezogen. Vögel zum Beispiel sind notwendige Mitarbeiter beim Waldaufbau, denn manche Saat braucht den Durchgang durch einen Vogelmagen, um überhaupt aufgehen zu können. Hier liegt ein spannendes Arbeits- und Forschungsgebiet bereit.

Es gibt auch Helferkräfte, die uns noch ziemlich fremd sind: Von Dhyani Ywahoo, einer spirituellen Lehrerin der Cherokee-Indianer Nordamerikas, haben wir erfahren, dass der Blitz ein wichtiger Faktor für die Revitalisierung von geschwächten Böden ist, wenn diese wieder genügend durchfeuchtet sind. In ihrem Buch „Am Feuer der Weisheit“ schreibt sie:

„Wenn die unterirdischen Wasservorräte erschöpft werden, ziehen sie die elektrische Energie der Blitze nicht mehr zu sich an. Die Aktivität der Gewitter ist der Puls, so wie das Nervensystem der Puls ist, der deinen Körper belebt. Wenn also die Wasservorräte zunehmend verringert werden, gibt es immer weniger Energie für Wachstum und Leben. Auch haben Blitze weitere subtilere Auswirkungen.“

Sepp Holzer hat auch den Donner als Helferkraft entdeckt und zwar für das Wachstumverschiedenster Arten von Speisepilzen.

Wir sehen an diesen Beispielen, wieviel spannende Forschungsarbeit noch vor uns liegt.

Mit dem Aufbau von Retentionslandschaften geht der Mensch wieder eine Kooperation ein mit dem Geist der Erde, dem Geist der Pflanzen, Tiere und Menschen, die in diesem Raum leben oder leben sollen. Es handelt sich beim Anlegen dieser Systeme also nicht nur um Ingenieurskunst, sondern auch um die Kunst des Kontakts mit dem Lebendigen und um die Anerkennung, dass wir Menschen nicht die Einzigen sind, die hier auf dem Planeten leben. Uns wurde die Schöpfung anvertraut, damit wir sie wahrnehmen und pflegen. Das ist die eigentliche Rolle, die dem Menschen auf der Erde zukommt. Hier wird ein altes Wissen wieder wachgerufen und in unser modernes Leben übertragen, welches die indigenen Völker früher alle hatten.

Die Retentionslandschaft von Tamera

In Tamera haben wir 2007 mit dem Bau eines ersten Retentionsraumes begonnen. Der Vorschlag dazu kam von Sepp Holzer, der uns seit langem in der ökologischen Renaturierung und Heilung des Tamera-Geländes unterstützt. Wir hatten bis dahin geglaubt, in einem trockenen Land zu leben. Als er uns die Dimensionen des geplanten ersten Retentionsraums aufzeichnete, kam die Frage auf, wie lange es wohl dauern würde, bis sich dieses große Becken mit Wasser füllen würde. Der „See 1“, wie wir ihn heute nennen, liegt im Zentrum unseres Geländes. Die Vorstellung, jahrelang ein staubiges, halb leeres Becken anschauen zu müssen, motivierte uns nicht gerade dazu, diesen ersten Schritt hin zu der geplanten Retentionslandschaft zu tun. Dann kamen wir auf die Idee, uns die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge vor Augen zu führen, mit der im Einzugsgebiet dieses Retentionsraumes zu rechnen ist. Wir füllten das Wasser gedanklich in Behälter mit einem Fassungsvermögen von jeweils einem Kubikmeter und stellten sie eines nach dem anderen der Reihe nach auf und kamen auf eine Länge, die von Tamera bis in das knapp tausend Kilometer entfernte Barcelona reichte. Das genügte, um uns aus dem System des Mangeldenkens herauszukatapultieren.

Im gleichen Jahr begannen wir mit dem Bau. Im ersten Winter füllte sich der See und der angrenzende Erdkörper zu gut Zweidrittel mit Wasser. Nach der zweiten (niederschlagsarmen) Regensaison fehlten nur noch wenige Zentimeter bis zum Höchststand. Im dritten Winter fiel so viel Regen, dass er noch etliche solcher Retentionsräume hätte füllen können. Heute, nach nur vier Jahren seit Baubeginn, ist es, als hätte es nie etwas anderes an dieser Stelle gegeben als einen Wasserraum. Viele Menschen, die zum ersten Mal Tamera besuchen, wollen zunächst nicht glauben, dass es sich nicht um einen natürlichen See handelt. Auf den Uferterrassen haben wir „essbare Landschaften“ angelegt und einige tausend Obstbäume und Sträucher gepflanzt. Wilde Tiere wie der Fischotter siedelten sich an. Und die Vögel kamen zurück: Mittlerweile kennen wir 93 verschiedene Vogelarten in Tamera, einige davon sind seltene Arten, die nur in wasserreichen Gebieten vorkommen. Bereits im ersten Jahr hat sich eine neue Sickerwasserquelle auf unserem Gelände gebildet, die seitdem das ganze Jahr über konstant läuft. Der Bau des „See 1“ war erst der Beginn. Seitdem haben wir etliche weitere Retentionsräume angelegt.

2011 haben wir einen Retentionsraum gebaut, der etwa das dreifache Fassungsvermögen aufweist wie der „See 1“. Mit diesem Bau haben wir in einem ersten Tal den Durchbruch geschafft von einer Landschaft mit viel Wasser hin zu einer Retentionslandschaft: Dieses Gebiet ist jetzt in der Lage, die Wassermengen auch von stark anhaltenden Niederschlägen vollständig aufzunehmen. Dieser große Retentionsraum liegt an der höchsten Stelle dieses Tales. Der Wasserdruck reicht aus, um die Bewässerung auf dem größten Teil unseres Geländes zu gewährleisten (so lange wir sie noch brauchen), ohne zusätzliche Energie für das Pumpen aufbringen zu müssen. Mit dem Wasser aus diesem höchstgelegenen Retentionsraum werden wir den Wasserstand der nachfolgenden Retentionsräume das ganze Jahr über fast konstant halten können.

Wir wollen hier in Tamera im Modell zeigen, wie es eigentlich überall im Alentejo und im Grunde überall auf der Welt aussehen könnte. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Positiv gesagt, heißt das: Mit Wasser gibt es Leben. Wir können immer mehr in die Lage kommen, das Bild zu sehen und zu pflegen, das vor unserem Auge entsteht, wenn wir uns fragen: Wie sieht es aus, wenn wir mit Wasser leben und nicht ohne Wasser? Wie schnell kommen wir da an Paradiesbilder und wie schnell können wir da auf allen Ebenen aus dem Mangeldenken austreten! Ich möchte mit einem Zitat von Viktor Schauberger abschließen. Es stammt aus einem Aufsatz, den er im Jahre 1934 geschrieben hat (aus: „Das Wesen des Wassers”):

„Aus dem Wasser ist alles entstanden. Das Wasser ist daher der universelle Rohstoff jeder Kultur oder das Fundament jeder körperlichen und geistigen Entwicklung. Die Entschleierung des Wassergeheimnisses ist das Ende jeder Art (kapitalistischer Anm. d. Verlags) Spekulation oder Berechnung mit ihren Auswüchsen, zu denen Krieg, Hass, Neid, Unduldsamkeit und Zwieträchtigkeit in jeder Form und jeder Art zählen. Diese restlose Erforschung des Wassers bedeutet daher im wahrsten Sinne des Wortes das Ende der Monopole, das Ende jeder Beherrschung und den Anbeginn eines Sozialismus durch die Ausgestaltung des Individualismus in vollendetster Form. Wenn es uns gelingt, das Wassergeheimnis zu entschleiern, zu verstehen, wie Wasser entstehen kann, dann wird es möglich, jede Wasserqualität an beliebigen Orten herzustellen, und dann wird man in die Lage kommen, ungeheure Wüstenflächen wieder urbar zu machen, dann wird der Kaufwert der Nahrung und zugleich der Kaufwert der Maschinenkraft auf ein solches Minimum gesenkt, dass es sich nicht mehr lohnt, damit zu spekulieren.“

Ich bitte alle, diese Vision zu sehen. Ich bitte alle zu sehen, wie der Mensch gemeint ist, wie die Aufrichtung des Menschen gemeint ist und welche Rolle dabei der Aufbau von Modellen spielt. Ein Mensch, der wieder sein Menschenrecht in die Hand nimmt, wird auch das Wasserrecht wieder vertreten, wie Evo Morales es gefordert hat, und in die Kooperation eintreten mit der Natur und ihren Wesen. Wenn wir dieses Bild der Wiederverbindung mit der Natur in unserem Inneren wieder gefunden haben, dann beginnen wir, den Satz zu verstehen:

„Wasser, Energie und Nahrung stehen der ganzen Menschheit zur freien Verfügung, wenn wir nicht länger den Gesetzen des Kapitals, sondern der Logik der Natur folgen.”

So ist das Leben gemeint.

Weiterführende Literatur zu Ökologie und Wasser

Allen, die einen tieferen Einblick in dieses Studienthema ge-winnen wollen, empfehlen wir folgende Bücher:

Barlow, Maude; Clarke, Tony: Blaues Gold. Das globale Geschäft mit dem Wasser

Braunroth, Eike: In Harmonie mit den Naturwesen in Garten, Feld und Flur. Kooperation mit der Natur.

Coats, Callum: Naturenergien verstehen und nutzen: Viktor Schaubergers geniale Entdeckungen

Fukuoka, Masanobu: Die Suche nach dem verlorenen Paradies. Natürliche Landwirtschaft als Ausweg aus der Krise

Holzer, Sepp: Wüste oder Paradies: Holzer’sche Permakultur jetzt! Von der Renaturierung bedrohter Landschaften über Aqua-Kultur und Biotop-Aufbau bis zum Urban Gardening

Holzer, Sepp: Sepp Holzers Permakultur: Praktische Anwendung für Garten, Obst- und Landwirtschaft

Kravˇcík, Michal: Water for the Recovery of the Climate: A New Water Paradigm*

Lancaster, Brad: Rainwater Harvesting for Drylands and Beyond, Volume 1, 2nd Edition: Guiding Principles to Welcome Rain into Your Life and Landscape*

Lovelock, James: GAIA. Die Erde ist ein Lebewesen

Savory, Allan: Holistic Management Handbook: Healthy Land, Healthy Profits*

Schauberger, Viktor: Das Wesen des Wassers: Originaltexte

Schwenk, Theodor: Das sensible Chaos

Yeomans, P. A. and Ken B.: Water For Every Farm: Yeomans Keyline Plan*

* keine uns bekannte deutsche Fassung

www.tamera.org