Entscheidungsfindung in Gemeinschaft

Wir treffen Entscheidungen durch ein System, das auf Basisdemokratie und Vertrauen beruht und durch eine Reihe verschiedener Gremien repräsentiert ist. Wichtig für eine gemeinsame Entscheidungsfindung ist die Grundlage gemeinsamer Ziele und Werte, von Transparenz, Charakter- und Bewusstseinsarbeit sowie ethischer Richtlinien. Wenn jemand eine Idee einbringen will, stellt er sie zunächst einer sozialen Gruppe oder einem der Entscheidungsgremien vor, bis Resonanz von der ganzen Gemeinschaft eingeholt wird. Wenn es Zustimmung gibt und der Vorschlag das größere Ganze unterstützt, formiert sich eine kleinere Gruppe, um die Idee in ihren verschiedenen Ebenen (materiell, sozial, geistig) umzusetzen. Wenn Konflikte entstehen, arbeiten wir an den dahinter liegenden emotionellen Mustern, bis das Vertrauen wiederhergestellt ist.

„Um Basisdemokratie zu verwirklichen, muss die Innenwelt der Menschen in Richtung der Demokratietauglichkeit verändert werden. Die Idee der Basisdemokratie ist dann richtig, wenn alle Teilnehmer fähig sind, für die Gruppe Verantwortung zu übernehmen. Dafür braucht man Menschen, die ihrem Gewissen folgen und die bereit sind, das gemeinsame Interesse über das Eigeninteresse zu stellen. Dann ergibt sich Basisdemokratie als eine Grundform des gemeinsamen Lebens und Arbeitens von selbst.“

DIETER DUHM

Wie wir Entscheidungen fällen

Man könnte Tamera als eine „Räterepublik“ bezeichnen. Räte gibt es auf verschiedenen Ebenen – auf der Ebene der Gesamtvision, der Gesamtkoordination, in den Unterprojekten und speziellen Arbeitsgebieten. In den Räten werden die Themen der speziellen Bereiche besprochen,  Entscheidungen getroffen oder so weit vorbereitet, dass sie in die Gesamtgemeinschaft getragen werden können. Die Räte bestehen aus Menschen, die für das jeweilige Projekt Verantwortung angenommen haben und das Vertrauen der anderen genießen. Sie sind verantwortlich dafür, ihre Arbeit regelmäßig zu veröffentlichen und Vorschläge einzubringen. Die Gemeinschaft trifft die Entscheidung in gewisser Hinsicht durch Einwilligung (consent), das heißt, ein Vorschlag kann jederzeit hinterfragt werden, wenn die Zustimmung aus irgendwelchen Gründen noch nicht gegeben werden kann. Die Gremien für die Entscheidungsfindung sind:

  • Planungsrat – er arbeitet auf der Ebene der Gesamtvision der Heilungsbiotope, wie sich diese Vision in Tamera manifestiert und treibt so die Gesamtentwicklung des Projekts nach vorn.
  • Trägerkreis – hier sind alle Projektträger versammelt, um einander in ihren Unterprojekten zu unterstützen und alle Themen rund um das Management, die Organisation und soziale Struktur in der Gesamtgemeinschaft anzuschauen.
  • Frauenrat – ein Kreis „weiser Frauen“, der die Vorgänge von Gemeinschaft, Heilung, Liebe, Sexualität, Empfängnis und Geburt beratend unterstützt.
  • Finanzrat – alle Fragen der Gemeinschaftsökonomie gehören in dieses Gremium, das daran arbeitet, ein neues ökonomisches Paradigma aufzubauen.
  • Umsetzerrat – er arbeitet im Bereich der materiellen Verwirklichung wie zum Beispiel der Infrastruktur, in der Errichtung von Gebäuden, usw.
  • Soziale Gruppen – alle Mitglieder der Gemeinschaft sind in einer sozialen Gruppe eingebettet. Hier ist ihr tägliches Forum und der Vertrauensraum, um sich in den verschiedenen Aspekten ihres Lebens transparent zu machen und um einander zu unterstützen. Die sozialen Gruppen bilden auch den Heimatraum für die Kinder der MitarbeiterInnen.
  • Plenum – Einmal wöchentlich findet eine Versammlung der Gesamtgemeinschaft statt. Das Plenum ist ein Organ für die Entscheidungsfindung. Alle dürfen entsprechende Ideen und Vorschläge einbringen, Resonanz geben und Rückkoppelung abfragen.

Umgang mit Konflikten

Wenn Konflikte um bestimmte Entscheidungsvorgänge entstehen, versuchen wir immer, sie auf eine höhere Ebene zu bringen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns regelmäßig Zeit nehmen, um die gemeinsame Vision und die ethische Basis zu nähren und zu vertiefen.

Die meisten Konflikte wurzeln nicht im umstrittenen Sachthema selbst, sondern in den darunter liegenden und oft verborgenen emotionellen Mustern und Ego-Interessen. Durch die Charakter- und Bewusstseinsarbeit, die wir u.a. im Forum betreiben, können wir die emotionellen Themen von den Sachthemen unterscheiden und somit Konflikte auf Sachebene lösen. Sollten Konflikte bestehen bleiben, weil es tatsächlich sachliche Unstimmigkeiten gibt, müssen wir uns solange weiter beraten, bis Einigkeit erreicht ist. Das verlängert zwar manchmal den Prozess der Entscheidungsfindung, ist aber unablässig, um wirklich Vertrauen in der Gemeinschaft zu erzeugen. In einem System des Vertrauens können Entscheidungen nicht gegen den Willen der Gemeinschaft durchgesetzt werden.

Beispiele von Vorgängen zur Entscheidungsfindung

Sabine Lichtenfels hatte die Vision von der Aula als einem Auditorium für unsere internationale Friedensausbildung. Sie teilte diese Vision der Gemeinschaft mit. Das Bild wurde immer klarer und fand starke Resonanz durch den Austausch in der Gemeinschaft. Hier zeigte sich die Kraft einer echten Vision, die Geister und Herzen vereinte und so schliesslich zur Entscheidung führte.

Dieser Prozess wiederholte sich beim Bau des „See 1“. Wir waren inspiriert von der kraftvollen Eingabe des ökologischen Visionärs Sepp Holzer. Unser Ökologie-Team unterstützte den Vorschlag, das Land radikal umzuformen, um zwischen unserem Kulturzentrum, dem Gästehaus und der Aula einen ersten großen Wasser-Retentionsraum zu schaffen. Die meisten von uns konnten sich jedoch nicht vorstellen, dass ein solch großer Aushub sich jemals mit Regenwasser füllen würde. Eine intensive Auseinandersetzung begann. Schließlich vertraute die Gemeinschaft in die professionelle Sachkenntnis der ÖkologInnen und in die überzeugende Vision einer Wasser-Retentionslandschaft, und sie wurde gebaut. (Die Entscheidung war, wie wir heute wissen, richtig.)

Ergebnisse und Praktiken

  • Entscheidungen in der Gemeinschaft werden nicht privat getroffen. In einer Vertrauensgemeinschaft nehmen wir Anteil am täglichen Leben der anderen und erlauben  ihnen, auf unsere Entscheidungen Einfluss zu nehmen.
  • Vertrauen steht im Zentrum eines neuen Paradigmas der Entscheidungsfindung. Wer am Entscheidungsprozess der Gemeinschaft teilnehmen möchte, muss auch bereit sein, am inneren Vertrauensaufbau teilzunehmen. Das mag den Vorgang verlangsamen, führt aber letztlich dazu, dass nachhaltige Entscheidungen getroffen werden können.
  • Wir entwickeln unsere natürliche individuelle Autorität, wenn wir unsere eigene Wahrheit auszusprechen lernen und unsere Entscheidungen immer bewusster treffen, so dass wir unsere Macht nicht unbewusst missbrauchen.
  • Je mehr Menschen an einer gemeinsamen Sache arbeiten, umso mehr Kohärenz kann in der Gruppe aufgebaut werden. Um Entscheidungen effizient und bis ins letzte Detail zu treffen, müssen wir eine kraftvolle Gesamtvision miteinander teilen. Wenn wir in einer gemeinsamen Vision verbunden sind, stehen uns große Kräfte der Veränderung zur Verfügung.
  • Ein wichtiger Schritt für die globale Heilung ist der Wechsel von Einzelentscheidungen zu gemeinsamen Entscheidungen, die aus der Zusammenarbeit autonom denkender Menschen getroffen werden, indem wir uns in den Dienst eines gemeinsamen Ziels stellen, für das gemeinsame Wohl aller.

www.tamera.org