Freie Sexualität und Partnerschaft

Freie Sexualität ist Teil eines freien Lebens, in dem wir unsere sexuellen Wünsche offen aussprechen und ihnen ohne Lüge, Betrug und Erniedrigung folgen können. Partnerschaft steht nicht im Gegensatz zur sexuellen Freiheit, sondern ergänzt sie. In einer Vertrauensgemeinschaft mit klarer ethischer Grundlage kann unsere Sehnsucht nach Intimität und Partnerschaft in Übereinstimmung gebracht werden mit dem natürlichen Wunsch nach freier Sexualität.

„Wahrheit in der Liebe ist die stabilste Basis für jede dauerhafte Liebesbeziehung.“

SABINE LICHTENFELS

Konzept

„Freie Sexualität“ heißt für uns, unsere sexuelle Lust und Sehnsucht in der Liebe zu befreien, damit sie so natürlich und frei fließen können, wie ein Fluss in der Natur. So wie wir Wasser-Retentionslandschaften aufbauen, um wieder einen gesunden Wasserkreislauf zu erzielen, so schaffen wir auch Schutzräume innerhalb der Gemeinschaft, in der wir unsere Wünsche in Wahrheit und ethischer Verantwortung aussprechen können. Mit „freier Sexualität“ meinen wir nichts anderes, als eine sexuelle Kultur, die auf Wahrheit, Solidarität und gegenseitiger Wahrnehmung beruht und frei von Angst, Lüge und Betrug ist. Freie Sexualität ist ein ethisches Prinzip und nicht eine Frage unseres persönlichen sexuellen Lebensstils. Solange wir in der Sexualität Heuchelei und Betrug dulden, wird unser Zusammenleben durch schleichendes Misstrauen und Wut erodiert. Sexualität ist dann frei, wenn wir unserer Wahrheit folgen. Mit „Wahrheit“ meinen wir weder Moral noch äußere Gesetze, sondern einen Zustand authentischen Daseins und offener Kommunikation, über den Wilhelm Reich gesagt hat: „Wahrheit ist der volle, unmittelbare Kontakt zwischen dem Leben, das wahrnimmt und dem Leben, das wahrgenommen wird.“

Partnerschaft wird durch die Praxis der freien Sexualität nicht ausgeschlossen, ganz im Gegenteil: Partnerschaften, die auf gegenseitiger Unterstützung und Solidarität beruhen, erhalten Dauer, weil die Partner nicht mehr verleugnen müssen, von wem sie sich angezogen fühlen. Die PartnerInnen erkennen die sexuelle Natur in sich und im anderen. Viele Paare schwören sich ewige Treue, weil sie am Anfang ihrer Beziehung den Starkstrom der sexuellen Leidenschaft erfahren haben. In Wirklichkeit aber kann eine Partnerschaft nicht allein auf sexueller Anziehung beruhen, und so kann sie auch nicht durch die Ausschließung Dritter vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Dauerhafte Partnerschaften entstehen, wenn beide Partner einen gemeinsamen Weg beschreiten, einer gemeinsamen Aufgabe im Leben nachgehen, wenn sie sich „gesehen“ und entschieden haben, einander bedingungslos zu unterstützen.

Partnerschaft ist ein großes Geschenk, aber es ist keine Bedingung für ein glückliches und erfülltes Leben, wie es uns von der bestehenden Kultur und Unterhaltungsindustrie suggeriert wird. In einer Kultur der freien Sexualität gibt es nicht nur ein Idealbild der Liebe, sondern viele Möglichkeiten der Erfüllung. Wir brauchen keine Stereotypen mehr zu wiederholen, denn wir dürfen unsere eigene Sehnsucht erkennen und ihr folgen.

Unsere sexuelle Sehnsucht wahrhaftig auszudrücken, ermöglicht es uns, frei zu werden und Verantwortung anzunehmen, und vor allem, vertrauen zu können. Freie Sexualität entwickelt sich organisch aus einem intakten Gemeinschaftsleben. Freie Sexualität ist ein Angebot und darf niemandem aufgezwungen werden. Sie entsteht von selbst, wenn wir den Mut haben, sie zu erlauben.

Erkenntnisse

  • Die Grundlage der freien Sexualität ist das Vertrauen. Soziale und ethische Richtlinien sind wesentlich für den Aufbau einer Vertrauensgemeinschaft, sodass die freie Sexualität heilend wirken kann.
  • Wahrheit verleiht dem Eros Flügel. Wenn wir unsere sexuellen Wünsche voreinander nicht länger verheimlichen müssen, betreten wir einen anderen Lebenszustand – Wahrheit in der Sexualität, Wahrheit in der Liebe, Wahrheit in der Partnerschaft, Wahrheit anstatt Heimlichkeit, Lüge und schlechtes Gewissen.
  • Unsere Angst, von unseren Partnern getrennt zu werden, wenn sie auch Begegnungen mit anderen haben, ist nur real, wenn wir sie dazu zwingen, sich für den einen oder anderen zu entscheiden. Diese Gedankenmuster sind Folge des kollektiven Traumas, das in einer langen Gewaltgeschichte entstanden ist. Um den Konflikt zu lösen, brauchen wir eine soziale Ordnung des Vertrauens, in der wir die Verlustangst überwinden können.
  • Unsere Sexualität kann sich frei entfalten, wenn wir erkennen, dass wir „dürfen“. Wir haben uns befreit, wenn wir unserer tiefsten Sehnsucht wieder folgen dürfen und aus den gesellschaftlichen Tabus und Verurteilungen ausgetreten sind. Dafür brauchen wir eine Vertrauensgemeinschaft.
  • Freie Sexualität bedeutete weder Promiskuität noch Pornographie – solche Ideen entstammen allein der Vorstellung von Menschen, die keine Möglichkeit haben, ihre sexuellen Wünsche in Würde und Solidarität auszudrücken. Der Missbrauch in der Sexualität, der durch Vergewaltigung, Pornographie und willkürlichen Sex ausgeübt wird, ist der Schatten einer Gesellschaft, die es ihren TeilnehmerInnen nicht erlaubt, ihre sexuellen Energien frei auszudrücken.
  • Eifersucht gehört nicht zur Liebe. Leider gibt es keine Pille gegen die Eifersucht. Je tiefer sich aber Vertrauen unter Menschen ausbreitet, umso weniger Platz gibt es für Eifersucht und Verlustangst. Das ist eine Grunderfahrung in funktionierenden Gemeinschaften.

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