Was hält eine Gemeinschaft zusammen?

Nach hundertjährigem Scheitern der Gemeinschaftsexperimente seit dem Monte Verità (ebenfalls gescheitert) bei Ascona lautet eine berechtigte Frage: Was hält Gemeinschaften zusammen, was verhindert ihr Scheitern, was steigert ihre Kraft?

Erstens: Sie braucht eine starke Idee, ein Konzept, ein Ziel, welches außerhalb eines nur persönlichen Wunsches nach Kontakt und Heimat liegt. Zum Beispiel: Aufbau eines Friedensgartens – Aufbau einer Kinderrepublik – Aufbau einer transformatorischen Schule – Aufbau eines umfassenden Projekts zur Energieforschung – Aufbau eines Kunstzentrums – Aufbau eines Medien- und Kommunikationszentrums etc. Je mehr ihr Konzept einer objektiven Notwendigkeit entspricht, desto mehr wird es vom Universum unterstützt.

Zweitens: Sie braucht gute Methoden für die menschliche Konfliktbewältigung. Sie braucht ein geistiges, übergeordnetes Konzept, welches auch dann noch gilt, wenn die menschlichen Beziehungen wieder einmal wackeln.

Drittens: Sie braucht einige Trägerpersonen, die den Gemeinschaftsgedanken auch dann noch tragen, wenn vieles schiefgeht. Sie braucht ein ungewöhnliches Durchhaltevermögen.

Viertens: Sie braucht keine Platzhirsche und kein Revierdenken, sondern sie braucht die Kooperation der Trägerpersonen. Ein fester Trägerkreis ohne geheime Konkurrenzkämpfe um Macht und Position ist die Voraussetzung für jede Gemeinschaft, die etwas Größeres vorhat.

Fünftens: Sie braucht eine klare Infrastruktur. Jedes Mitglied soll wissen, an welchem Platz es steht und was seine Aufgabe ist. Jede Person hat – wie jedes Organ im Leib – seine spezielle Funktion im Ganzen. Förderlich ist (ab einer bestimmten Gruppengröße) eine präzise Arbeitsteilung und eine klare Zuordnung der Leitungsfunktionen.

Sechstens: Sie braucht eine herrschaftsfreie Leitungsstruktur, bestehend aus Personen, die natürliche Autoritäten sind, weil sie die entsprechenden menschlichen und sachlichen Fähigkeiten haben und weil sie das Vertrauen der Gruppe besitzen. Diese Personen müssen charakterlich so weit entwickelt sein, daß sie ihre Position nicht für Zwecke von Eigennutz und Macht mißbrauchen. Menschen mit der alten Machtstruktur sind für Leitungsfunktionen ungeeignet, auch wenn sie von sich aus sofort die Leitung übernehmen wollen. Zukunftsgemeinschaften können weder auf autoritärer noch auf antiautoritärer Basis entstehen.

Siebtens: Sie braucht die Professionalität ihrer Mitglieder. Für die Entwicklung des Ganzen müssen eine Richtung und ein Wille vorhanden sein, die nicht den jeweiligen Gefühlen und Launen unterworfen sind. Freaks und Hippies waren sympathische Leute, aber sie konnten keine funktionierenden Gemeinschaften aufbauen.

Achtens: Damit Vertrauen entstehen kann, braucht sie die Transparenz aller wichtigen Vorgänge und Entscheidungen. Besonders für die Bereiche von Sex, Liebe, Autorität und Macht, Geld und Ökonomie muss sie Transparenz schaffen durch geeignete Methoden (z.B. SD-Forum) und klare Kommunikation, weil sie sonst bald den undurchschauten Konflikten zum Opfer fiele.

Neuntens: Sie braucht sexuelle Lebendigkeit. Sonst wird sie steif, ideologisch oder langweilig. Bisher sind Gemeinschaften entweder am Eros zerbrochen, oder sie haben ihn verdrängt. Gemeinschaften und Eros waren zwei konträre Begriffe. In Wirklichkeit aber kann sich ein freier, unverlogener Eros nur auf kommunitärer Basis entfalten. Dazu müssen natürlich die üblichen Schranken auf gute Weise überwunden werden.

Zehntens: Sie braucht die Wiederverankerung in den menschlichen Grundwerten von Nächstenliebe, Gastfreundschaft, Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung. Sie braucht die Verbindung mit den menschheitlichen Themen unserer Zeit und mit den universellen Quellen des Lebens. Je mehr menschheitliche Gültigkeit und Bedeutung sie hat, desto mehr Kräfte kommen ihr entgegen. Die Aufgabe wird größer, der Wille wächst, neue Möglichkeiten werden sichtbar. Hinter jedem Projekt – sei es Friedensgarten, Kunst- oder Technologie-Zentrum – steht ein neues Lebenskonzept, welches immer umfassender wird, je länger wir arbeiten.

Elftens: Authentische Lieder, Feste, Rituale. Bei guter Entwicklung und gutem inneren Wachstum kommt für jede Gemeinschaft die Zeit, wo sie ihre eigenen Feste feiert und ihre eigenen Rituale findet. Es ist der Punkt von Dankbarkeit und Zelebration, wo man von selbst in eine festliche Form des Lebens übergeht. Plötzlich entstehen eigene Lieder, eigene Gemälde, eigene Ikonen, mantrische Zeichen einer neuen Bündelung unserer Kraft und Lebensfreude. In diesem Sinne wird irgendwann jede Zukunftsgemeinschaft ihren Tag mit einer Art von gemeinsamer Zelebration beginnen.

Auszug aus dem Buch: Die heilige Matrix von Dieter Duhm.

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